1914-1918 
Die große Krise


Der Herr hat den Leitern immer die erste Gelegenheit gegeben, sich als treu und mutig zu erweisen, aber als die Kirche sich der großen Krise im Jahr 1914 gegenübersah, traf diese sie leider unvorbereitet. Die überwiegende Mehrheit der Glieder in Europa erkannte nicht, dass die Brüder in den verantwortungsvollsten Ämtern die Gemeinde auf einen Irrweg führten, indem sie die Glieder zur Teilnahme am Kampf verpflichteten.

Während dieser schweren Prüfung erließ die Leitung der Siebenten Tags Adventisten in Europa Anweisungen, in denen die Geschwister dahingehend angewiesen wurden, aktiv am Krieg teilzunehmen. Diese Schreiben brachten viel Verwirrung in die Gemeinde. Tausende Siebenten Tags Adventisten gerieten in große Anfechtung und Bestürzung, als sie einwilligten, das Halten des Sabbats aufzugeben, Waffen zu tragen und sich wie die anderen zu verhalten, die ihr Vaterland liebten, um der Verfolgung oder sogar dem Tod zu entgehen. Eine große Mehrheit handelte in Übereinstimmung mit ihren Leitern.

Nur eine kleine Minderheit von Kriegsdienstverweigerern, die den nötigen Glauben und den Mut besaß, setzte sich für Wahrheit und Gerechtigkeit ein. Es waren keine Aufrührer, sondern aufrichtige Adventisten, die sich zur Verteidigung von Gottes Gesetz zur Zeit der Krise erhoben, als die Gemeinde zwischen Treue und Kompromissbereitschaft schwankte. Man befand allerdings, dass ihre Stellung nicht im Einklang mit den Entscheidungen der Leiter war, die wollten, dass die Gemeinde die Gunst der Regierung besäße. Darum wurden die wenigen Getreuen, die für ihre Überzeugungen einstanden, aus der Gemeinde ausgeschlossen. Die dann folgende Verfolgung und Trübsal sind Teil der Geschichte unserer Gemeinschaft. In der vom Ersten Weltkrieg ausgelösten Krise besaß Gott in jedem Land seine treuen Zeugen, wie wir im Folgenden sehen werden.

Seit Beginn des Krieges war sich die Generalkonferenz der Schwierigkeiten bewusst, die über die Gemeinde in Europa hereingebrochen war. Die Uneinigkeiten und Spaltungen, die in den Reihen der Adventisten auftraten, blieben den Brüdern der Generalkonferenz nicht verborgen. Deshalb schickte man gegen Ende des Jahres 1916 William A. Spicer, den Sekretär der Generalkonferenz, nach Europa, um sich aus erster Hand über die Probleme zu informieren und, wenn möglich, eine Lösung zu finden. Hätte er auch Kontakt mit den Vertretern der ausgeschlossenen Minderheit aufgenommen und ihre Seite der Geschichte angehört, hätte er ein ausgewogenes Bild der Lage nach Washington zurückbringen können. Aber er gab sich mit den einseitigen Berichten der europäischen Leiter (besonders von L. R. Conradi) zufrieden, die für die Schwierigkeiten verantwortlich und selbst davon betroffen waren. So diente der Besuch des Ältesten Spicer nicht dazu, die aufgeworfenen Fragen zur Treue gegenüber Gottes Gebote in Kriegszeiten lösen oder zu verringern, sondern vertiefte nur die Gräben.

In Deutschland

In dem Heft Der Christ und der Krieg, S. 18, gab die Leitung der adventistischen Gemeinde in Deutschland ihrer neuen Stellung Ausdruck.

Tausende Adventisten waren bestürzt und protestierten, als sie den Rundbrief des Sekretärs der europäischen Division, des Ältesten G. Dail, vom 2. August 1914 lasen, in dem folgende Anweisungen enthalten waren:

„Wir sollten unsere soldatischen Pflichten freudig erfüllen, wenn wir uns im Kriegsdienst befinden oder dazu einberufen werden, sodass die Verantwortlichen uns als mutige und treue Soldaten erkennen, die bereit sind, für ihr Heim, für unsere Armee, für unser Vaterland zu sterben.“

Um die Beschwernis der Kriegsdienstverweigerer noch zu vergrößern, wurde ihnen die Verpflichtung der Gemeindeleitung gemäß einer Erklärung der Ostdeutschen Union an das Kriegsministerium, unterschrieben vom Unionspräsidenten H. F. Schuberth, vom 4. August 1914 absichtlich einige Tage später bekannt gegeben. Darin hieß es:

„Wir haben uns zur Verteidigung des Vaterlandes zusammengetan, und unter diesen Umständen werden wir auch am Samstag (Sabbat) Waffen tragen.“

Ein zusätzlicher Schock für die wenigen Getreuen war die Veröffentlichung von Der Christ und der Krieg 1916. Darin machen auf Seite 18 drei der leitenden Adventisten in Deutschland folgende Erklärung:

„In allem bisher Gesagten haben wir gezeigt, dass uns die Bibel folgendes lehrt: erstens, dass die Teilnahme am Krieg keine Übertretung des sechsten Gebotes ist; zweitens, dass das Leisten von Militärdienst am Sabbat keine Übertretung des vierten Gebotes ist.“

Niemand kann leugnen, dass hier eine grundlegende Änderung in der Lehrmeinung der adventistischen Gemeinde in Deutschland stattgefunden hat, die das Gesetz Gottes direkt betrifft. Eine Krise und die folgende Abspaltung waren die unvermeidliche Folge.

Dieses Ereignis wurde sogar von Außenstehenden kommentiert. Ein lutherischer Priester schrieb:

„Der Erste Weltkrieg hat den deutschen Adventismus in eine große Krise gestürzt. Die Kölnische Zeitung schreibt am 21. September 1915: ‚Unter den Nachfolgern des Adventismus ist nach dem Ausbruch des Krieges eine Spaltung aufgetreten. Die Mehrheit wollte die grundlegenden Lehren während des Krieges außer Kraft setzen. Der andere Teil dagegen wünschte den Sabbat sogar in dieser schwierigen Zeit zu heiligen. Diese Meinungsunterschiede führten schließlich zum Ausschluss der Anhänger des alten Glaubens aus der Gemeinde.’ Es war vor allem die Einstellung zum Kriegsdienst im Allgemeinen, die diese Spaltung verursachte.

Bereits am 4. August 1914 hat die überwiegende Mehrheit der deutsche Adventisten in einem sehr unterwürfig gehaltenen Kommunique an das Kriegsministerium in Berlin erklärt: ‚In dieser gegenwärtigen Kriegszeit, betrachten wir uns selbst als dazu verpflichtet, für die Verteidigung des Vaterlandes einzutreten und unter diesen Umständen auch am Samstag (Sabbat) Waffen zu tragen.’ Eine ähnliche Verlautbarung wurde am 5. März 1915 an das Büro des kommandierenden Generals des siebten Heereskorps gesandt. Diese Erklärung war unterzeichnet von L. R. Conradi, dem Präsidenten der Europäischen Division der Adventisten, und P. Drinhaus, dem Präsidenten der Sächsischen Konferenz. Diese offizielle Position wurde darum entgegen den pazifistischen Lehren der Amerikanischen Konferenz [der Adventisten] eingenommen. Aus diesem Grund widersetzte sich ein Teil der deutschen Adventisten dem offiziellen Beschluss. Diese Uneinigkeit mündete in einen erbitterten Streit. Die Adventisten, die einer Teilnahme am Krieg zustimmten und den ursprünglichen Grundsätzen untreu wurden, wandten sich aufs Heftigste gegen die Anhänger der alten Lehre. In einem Artikel in den Dresdener Neueste Nachrichten vom 12. April 1918 nennen sie diese Leute ‚unvernünftige Elemente’ mit ‚törichten Vorstellungen’ und sagen mit sehr unfreundlichen Worten: ‚Wir würden es tatsächlich als einen Gefallen an uns ansehen, wenn solche Elemente das verdiente Schicksal erlitten.’ Im gleichen Artikel führen sie auf, was sie für das Vaterland geleistet haben, um ihre eigenen Verdienste hervorzuheben. Wir bemerken, dass diese Art, gegeneinander zu streiten, höchst unerfreulich ist. Andererseits erzählen die Anhänger der ursprünglichen Lehre in einer Sonderausgabe ihrer Zeitschrift Wächter der Wahrheit von den Anfeindungen, die sie seitens ihrer gegnerischen Glaubensbrüder erlitten haben.“ – Dr. Konrad Algermissen, Die Adventisten, S. 22-24 (veröffentlicht 1928).

In einem Flugblatt der adventistischen Gemeinde in Deutschland wird die Krise im Adventvolk während des Ersten Weltkrieges so erklärt:

„Als Kinder ihres himmlischen Vaters pflegen sie [die Adventisten] Frieden untereinander und mit ihren Mitmenschen auf der ganzen Welt. Gleichzeitig versuchen sie, Grundsätze hochzuhalten, die der Herr der Christentums denen gegeben hat, die das Licht und das Salz der Welt in dieser feierlichen Zeit sind. Im Falle einer allgemeinen Mobilmachung waren sie [die Adventisten] als Glaubensgemeinschaft jederzeit bereit, wie jeder treue Staatsbürger ihre Pflichten sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten zu erfüllen. Beim Halten des siebenten Tages der Woche, das eine ihrer Eigenheiten ist, wünschen sie lediglich dasselbe Recht, das den bekennenden Anhängern anderer Religionen hinsichtlich ihres Ruhetages gewährt wird.

Bei Ausbruch des Krieges hielt sich die Glaubensgemeinschaft strikt an das Mobilmachungsgesetz, so wie es ihre Glieder auch in Friedenszeiten getan hatten. Sie wünschten sich nur soweit möglich die Privilegien, die anderen unter denselben Umständen gewährt werden konnten. Tausende ihrer Glieder sind Mitglieder der Armee. Viele von ihnen sind auf dem Feld der Ehre sowohl in Europa als auch in den Kolonien gefallen, während anderen Auszeichnungen oder Beförderungen zuteil wurden. Zu Beginn des Krieges meldeten sich auch viele ihrer Glieder, sowohl Männer als auch Frauen, freiwillig für den Sanitätsdienst, und die Glaubensgemeinschaft stellte ihre Räumlichkeiten ohne Zögern dem Roten Kreuz zur Verfügung

Während des Krieges gab es aber unglücklicherweise einzelne Glieder, die ihre persönlichen Gewissenszweifel nicht öffentlich bekannten, sondern sich vielmehr heimlich ihrer Pflichten entzogen und umhergewandert sind, um andere durch das gesprochene oder geschriebene Wort zu demselben Schritt zu verleiten. Als sie von der Glaubensgemeinschaft für ihr Vorgehen zur Rechenschaft gezogen wurden, beschuldigten sie die Leiter der Gemeinschaft des Abfalls. Darum mussten sie ausgeschlossen werden, nicht etwa auf Grund ihrer persönlichen Überzeugungen, sondern wegen ihrer unchristlichen Gesinnung und weil sie zu einer Bedrohung für den inneren und äußeren Frieden geworden waren.“– Zur Aufklärung, S. 2. 3.

In einem Rundbrief mit dem Titel The European Situation gab der Älteste C. H. Watson diese Erklärung:

„Es gab in Deutschland und den anderen betroffenen Ländern eine Minderheit unserer Gläubigen, die sich weigerten, der Leitung Conradis und anderer zur Aktiven Teilnahme am Krieg zu folgen.“

Diese hatten aufgrund ihrer Einstellung vieles durch die Regierungen zu erdulden.

In Deutschland wurden diejenigen, die Stellung gegen Conradis hinterlistige Handlungsweise einnahmen, der sie so zum Krieg verpflichten wollte, von Conradi und seinen Verbündeten äußerst grob behandelt. Der Widerstand der Minderheit gegen den Militärdienst drohte den ganzen Adventismus in den Augen der deutschen Regierung in Misskredit zu bringen. Um dies zu verhindern, schloss Conradi die Minderheit aus der Gemeinde aus.

So wurde die nicht am Krieg teilnehmende Minderheit in diesem Land aus der Gemeinde hinausgezwungen, und die Trennung hatte während der Kriegsjahre Bestand.

Als dieser Stand der Dinge den Leitern der Generalkonferenz bekannt wurde, waren sie in ihren Herzen tief getroffen, und sie sahen sich veranlasst, W. A. Spicer nach Deutschland zu schicken, obwohl die Bedrohung durch deutsche U-Boote damals sehr groß war. Bruder Spicer riskierte sein Leben, sich aus erster Hand über die Situation zu informieren.

Das Ergebnis dieses Besuches war, dass die Generalkonferenz Informationen aus erster Hand über folgende Dinge bekam:

a. Das Fehlverhalten gegenüber dieser Minderheit.

b. Die daraus resultierenden Spaltungen und Streitigkeiten unter unseren deutschern Gliedern.

c. Die Entwicklung von Verbitterung in beiden Lagern, besonders unter denen, da von Conradi falsch gehandelt worden war.

d. Die extremen Ansichten, zu denen die beiden Lager einander in ihren Unterschieden trieben.“

Solange Conradi ein Leiter der Gemeinde der Siebenten Tags Adventisten war, wurde er sogar von Vertretern der Generalkonferenz für unschuldig erklärt und verteidigt. Nachdem er die Adventgemeinde verlassen hatte, begannen einige Leiter zuzugeben, was man zu Beginn der Schwierigkeiten (1914-1920) hätte zugeben sollen.

Watsons Eingeständnis ist allerdings eine seltene Ausnahme. Die Veröffentlichungen der Siebenten Tags Adventisten zu dieser großen Krise verfehlen in der Regel das Thema, indem sie die grundlegenden Gesichtspunkte des ganzen Problems ignorieren. Einer dieser Punkte ist die Tatsache, dass die treue Minderheit ausgeschlossen wurde – dass wird üblicherweise verheimlicht.

Ein weiteres seltenes Beispiel eines Eingeständnisses der Verantwortung der Gemeinde mit den Kriegsdienstverweigerern findet sich in einem Büchlein, das von der Southern Publishing Association in Nashville, Tennessee, veröffentlicht wurde:

„In Wahrheit entstand die ‚Reformbewegung’ … in Deutschland während des Weltkrieges, als L. R. Conradi der Leiter der Glaubensgemeinschaft der Siebenten Tags Adventisten in ganz Europa war. Diese Bewegung ist, in ihrem heutigen Zustand und schon seit ihrer Entstehung, der Ausdruck des Protests vieler Siebenten Tags Adventisten nicht gegen die Lehren der Glaubensgemeinschaft, sondern gegen das eigenmächtige Verhalten eben dieses Conradi und einiger anderer Männer, die sich in der Leitung der Gemeinde in Europa mit ihm verbündet hatten. Er hatte die fraglichen Maßnahmen ohne Beratung, Zustimmung oder auch nur die Kenntnis der Generalkonferenz unternommen. Der Weggang dieser Menschen richtete sich nicht gegen ‚viele schwerwiegende Irrtümer und eine dominante Hierarchie’, sondern gegen die Leitung Conradis, die sie ohne ihr Mitspracherecht oder ihre Zustimmung den Kanonen und Bajonetten der Schlachtfelder verpflichtet hatte. Von dem Moment an, da er sie so verraten hatte, konnten sie ihm fortan weder als Mensch noch als Prediger noch als Leiter der Gemeinde Gottes vertrauen.“ – Walter H. Brown, Brown Exposes Ballenger, S. 30.

Es stimmt, dass Conradi und andere europäische Leiter das Vertrauen dieser „unglücklichen Opfer“ verraten hat, wie Brown in seiner Verteidigungsschrift gegen Ballenger zugibt. Brown irrte sich allerdings sehr, als er sagte, Conradi habe „ohne Beratung, Zustimmung oder auch nur die Kenntnis der Generalkonferenz“ gehandelt, denn die Beweislage zeigt das genaue Gegenteil. Außerdem stellte Brown die Tatsachen nicht richtig dar, als er sagte, es habe „Protest“ und einen „Weggang“ gegeben – er hätte sagen sollen, dass es sich um „Protest“ und einen „Ausschluss“ gehandelt hat.

Während des Ersten Weltkrieges wurden in Deutschland etwa 2000 Kriegsdienstverweigerer aus der Adventgemeinde ausgeschlossen. Gemeinsam mit Kriegsdienstverweigerern aus anderen Religionsgemeinschaften erduldeten sie die schwerste Prüfung, der Christen jemals ausgesetzt waren. Da Deutschland keinen Zufluchtsort für diese Glaubenshelden bot, wurden sie vor Erschießungskommandos gestellt oder litten im Gefängnis.

Während einer Konferenz in Jugoslawien im Jahr 1933, verlas Br. Otto Welp einen Bericht, der von unseren jugoslawischen Brüdern veröffentlicht worden war: Bezüglich der Kriegsdienstverweigerer lautete der Befehl, dass von den wehrfähigen Männern jeder zehnte hingerichtet werden sollte. Ließen die übrigen sich dadurch nicht umstimmen, sollte jeder fünfte umgebracht werden. Lenkten sie dann immer noch nicht ein, jeder zweite. Allein Gott weiß – und er wird es am Jüngsten Tag offenbaren –, wie viele Kriegsdienstverweigerer in Wirklichkeit hingerichtet wurden. Damals wurden sie häufig als Feiglinge verspottet, die Angst hatten, an die Front zu gehen; heute sieht man sie vielmehr als Helden, die sich weigerte, Menschen zu töten, und nicht zögerten, selbst ihr Leben für ihre Überzeugungen zu geben. Wer die Erschießungskommandos überlebte, wurden bis zum Ende des Krieges ins Gefängnis gesperrt.

Auch in anderen Ländern, die am Krieg teilnahmen, gingen treue Adventisten durch große Trübsale.

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