Hoffen wider alle Hoffnung

„Und er hat geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war, auf dass er würde ein Vater vieler Völker, wie denn zu ihm gesagt ist: ‚Also soll dein Same sein.‘“ (Römer 4, 18.)

Es gibt ein Sprichwort, das sagt: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Die Hoffnung ist eine der wertvollsten Gaben, die Gott uns gegeben hat, um unsere Last zu erleichtern und unsere Seelen zu erleuchten, die oft durch die Hindernisse des Lebens müde geworden sind. Diese Hindernisse sind Gefahren, Entmutigungen und Enttäuschungen, die uns auf dem Lebensweg begegnen. Und obwohl man sagt, dass die  Hoffnung zuletzt stirbt, merken wir, dass uns im Leben Dinge begegnen, wo man keinen Ausweg mehr sieht und es keine Quellen mehr gibt, die unsere Hoffnung erhalten. Unter diesen Umständen kann die Hoffnung „sterben“.

Was steckt hinter dem Tod der Hoffnung?

Es gibt Entmutigung, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Schmerz; und nach all dem folgt Depression, vielleicht Scheidung und Selbstmord.


Diese traurigen Tatsachen sind Beweise dafür, dass die Hoffnung letztendlich „sterben“ kann. Der Apostel Paulus spricht in Römer Kapitel 4 über das Leben Abrahams, der mit Gott lebte, über eine Hoffnung, die nie „stirbt“ und auch nicht zu Schanden wird. Eine Hoffnung, die durchhält, trotz der Indizien, die ihr widersprechen. Wenn alles um einen herum zusammenfällt, wenn man keinen Ausweg mehr sieht aus dem Kummer, wenn alles dunkel wird und es keine Perspektive mehr gibt, gibt es eine Hoffnung, dass alles ein gutes Ende nimmt. Es ist etwas, das alle Vernunft übersteigt.

Was bedeutet das Hoffen wider alle Hoffnung wirklich?

Es ist der Glaube, dass man weiterhin viele Jahre leben wird solange es Gott zulässt, auch wenn der Arzt eine unheilbare Krankheit entdeckt und man angeblich nur noch ein paar Monate zu leben hat. Es bedeutet weiteres Hoffen, dass deine Lieben, deine Kinder, Eltern, Verwandte, Brüder usw., die Gott verlassen haben und für welche du jahrelang gebetet hast, zu Gott zurückkehren werden, auch wenn du nicht mehr am Leben bist. Hoffen wider alle Hoffnung bedeutet, die Hoffnung nicht zu verlieren, auch wenn du jahrelang als Missionar für die Seelen gearbeitet hast, für sie und mit ihnen gebetet hast und du kein Zeichen ihrer Umkehr sehen kannst. Über diese Art Hoffnung schrieb Paulus: „Er hat geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war...“


Vor nicht allzu langer Zeit habe ich eine Erfahrung gelesen, die mich tief beeindruckt hat, eine Erfahrung von Josefina Camilton Edward, die in der Zeitschrift „Guide“ vom 28. Juni 1986 unter dem Titel „Tausend Wege“ erzählt wurde.


Sie erzählt die Geschichte ihrer Eltern aus dem Jahre 1902, als sie die Adventbotschaft annahmen und in Michigan, USA, getauft wurden. Drei Jahre nach ihrer Taufe kam Josefina zur Welt, das zehnte Kind der Familie. Bill, der zehnjährige Bruder, liebte sie sehr; er war seiner Schwester gegenüber sehr sensibel und immer bereit ihr zu helfen. Bill half seinem Vater täglich im Laden, und als Belohnung bekam er am Ende jeder Woche von ihm 50 Cent. Das erste, was der kleine Junge tat, war, den Zehnten auszurechnen, d. h. er legte 5 Cent auf die Seite, um sie der Gemeinde zu geben. Mit den 45 Cent Restgeld ging er an den Stadtrand, rief seine Freunde zusammen und kaufte ihnen Süßigkeiten für 25 Cent. Durch seine Großzügigkeit bekam er den Spitznamen „Bill, der Großherzige“.


Eines Tages berieten sich die Eltern über die Erziehung der Kinder. Der Vater war der Meinung, dass die Kinder die Gemeindeschule besuchen sollten, die Mutter aber war der Meinung, sie sollten eine staatliche Schule besuchen. Der Vater gab nach, und die Kinder wurden an staatliche Schulen geschickt. Bald kamen die Kinder auf den Geschmack von Vergnügungen, sie fingen an zu tanzen und lebten ein leichtes Leben. Bill (der Großherzige) fing an zu rauchen und Alkohol zu trinken. In der Familie entstanden Spannungen und heftiger Streit. Bald zogen die Kinder von zu Hause aus.


Eine große Schwester ging auch weg und wurde Schauspielerin. Eine andere heiratete einen leichtsinnigen Mann und begann ein Leben der Vergnügung und des Alkoholgenusses.


Auch Bill zog weg und wurde bei der Bahn eingestellt. Als die Eltern versuchten, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen, antwortete er: „Eure Religion interessiert mich nicht. Bleibt bei eurem Sabbat!“ Er begann eine erfolgreiche Karriere, verdiente viel Geld und gab es für Partys aus. Voller Schmerz stellten die Eltern fest: Von den zehn Kindern hatten acht Gott verlassen, um dem leichten Weg der Sünde zu folgen. Als die letzten zwei Kinder zur Schule gehen sollten, berieten sich die Eltern wieder und diesmal wählten sie eine Gemeindeschule, auf die Josefina schließlich auch ging.


Nach einiger Zeit heiratete Josefina ihren Mann Lowell und sie gingen zur Mission nach Afrika, wo sie mehrere Jahre arbeiteten. Die Eltern waren in ihrer Sorge geteilten Herzens, einerseits waren sie in Sorge um Josefina und ihre Familie, die in Afrika missionierten, und andererseits um die anderen acht Kinder, die dabei waren, in der Welt verloren zu gehen. Aber den größten Schmerz bereitete ihnen Bill...


Schließlich kam es so weit, dass die Eltern zur Ruhe gelegt wurden. Zuerst starb die Mutter, danach der Vater. Beide wurden begraben, ohne eine Antwort auf die Gebete für ihre Kinder zu bekommen, die verloren zu sein schienen. In Afrika schrieb Josefina folgendes in ihr Tagebuch: „Heute ist ein Tag des Gebets und des Fastens für Bill“. Inzwischen heiratete Bill Mary. Sie hörte zufällig den Radiosender „Stimme der Prophezeiung“; ihr Interesse für die Wahrheit wurde geweckt, sie begann die Bibel zu studieren, nach kurzer Zeit ließ sie sich taufen und wurde Mitglied der Siebenten-Tags-Adventisten. Bill freute sich nicht, aber er versuchte auch nicht, seine Frau daran zu hindern, und blieb dem Glauben gegenüber weiterhin kalt und gleichgültig. Zu der Zeit wurde Lowell, der Mann von Josefina, in Afrika krank, er bekam das „Schwarze Fieber“ und musste deshalb mit seiner ganzen Familie in sein Heimatland zurückkehren.


Nach einiger Zeit starb Lowell. Bill erfuhr vom Tod seines Schwagers, rief Josefina an und sagte: „Josefina, es tut mir Leid, aber ich kann nicht zur Beerdigung kommen. Ich habe Lowell so gern gehabt und kann ihn nicht tot sehen. Er ist einer von den zweien, die sicher in den Himmel kommen werden.“ „Wer ist der zweite?“, fragt Josefi na. „Mit Sicherheit Papa“, sagte Bill. Sein Vater, von dem er sich damals im Streit getrennt und gesagt hatte: „Bleibt bei eurem Sabbat!“


Als Witwe machte Josefina eine schwere Zeit der Verzweiflung durch. Um ihr zu helfen, aus dieser Krise herauszukommen, machte ihr der Vereinigungsvorsteher das Angebot, einer Gemeinde zu helfen. Zuerst lehnte Josefina die Einladung ab, sie nahm sie jedoch letztendlich an. Es war kurz vor Beginn der Gebetswoche, und sie fragte sich, was sie in dieser Zeit am besten machen könnte. Sie ging in der Gemeinde nach vorne und erzählte die Erfahrung ihres Bruders Bill und über ihren Schmerz zu wissen, dass er in der Welt verloren ging.


Die Gemeinde beschloss daraufhin, eine ganze Woche für Bill zu beten. Am folgenden Donnerstag bekam Josefina einen Brief von Mary, in dem diese erzählte, dass Bill aufgehört hätte zu rauchen und den Alkohol entsorgt hätte. Es war eine Ermutigung für die Gemeinde, nicht aufzuhören für Bill zu beten.


Ein Monat verging, und Josefina bekam wieder einen Anruf von Mary, die ihr erzählte, was mit Bill in der Zwischenzeit passiert war. Mary erzählte, wie eines Morgens die Wohnzimmertür halb offen stand und sie Bill im Bademantel eingehüllt, weinen sah. „Was ist passiert, Bill?“, fragte Mary. „Nein, es war keine Einbildung! Er war es! Ruf bitte schnell den Prediger, und ich werde euch alles erzählen“, antwortete Bill. Der Prediger kam herbeigeeilt und Bill begann ihm zu erzählen, was passiert war. Während er die Zeitung las, hatte er gehört, dass die Tür langsam aufging. Er glaubte, dass es seine Frau sei, als er jedoch die Person ansah, die hereinkam, sah sie so aus, wie er sich Jesus vorstellte. Die Person näherte sich ihm, berührte seine Knie und sagte mit einer zärtlichen Stimme: „Bill, ich möchte dich um etwas bitten.“ „Alles, Herr!“, antwortet Bill. „Bill, ich habe eine große Last und eine große Aufgabe zu erfüllen, bevor ich wiederkomme. Ich muss eine Antwort auf die 50 Jahre dauernden Gebete haben, die für dich emporgestiegen sind. Deine Mutter und dein Vater liegen im Grab, und sie können nicht mehr hoffen, dich im Himmel zu sehen. Aber, Bill, ich will ihnen die Freude bereiten, dich zu sehen wenn ich die Krone auf dein Haupt setze. Ah, ich möchte sie glücklich sehen!“ Bill brach zusammen und verstummte. Er, der Aufsässige, der Gott lange Zeit den Rücken gekehrt hatte, wurde vom Heiland persönlich besucht! An diesem Morgen beugte sich Bill zu Jesu Füßen und sagte: „Herr, ab jetzt gehöre ich dir, ich bin dein!“


Es stellt sich die Frage: Wessen unaufhörlicher Glaube brachte Bill lange Zeit Gnade, obwohl er so weit von Gott entfernt war? Wessen Glaube bewegte Jesu Arme in so einer wunderbaren Art und Weise? Die Antwort ist klar: Es war der unaufhörliche Glaube seines Vaters, seiner Mutter, Josefinas, Lowells und auch der ganzen Gemeinde, die für ihn betete. Was für eine wunderbare Kraft liegt in dem Gebet und der Fürbitte! Eine Kraft, die Gottes Hand bewegt, das Unmögliche möglich zu machen.


Das bedeutet „Hoffen wider alle Hoffnung“. Wenn wir in das Leben der Gottesmänner, die in der Bibel erwähnt werden, einen Blick werfen, dann werden wir sehen, dass diese Männer immer wieder mit schwierigen Situationen konfrontiert wurden. Einige ihrer Erfahrungen, die sie durchmachen mussten, verdankten sie ihrem schwachen Glauben, Momente in denen sie zweifelten, einige wegen ihrer Fehler und nicht zuletzt wegen ihres Ungehorsams.


Wir bemerken, dass alle mit der menschlichen Schwäche kämpfen mussten. Manche Erfahrungen hatten am Ende traurige Konsequenzen, und manche hatten ein glückliches Ende. Trotzdem war Gott liebevoll und gnädig ihnen gegenüber und versuchte ihnen zu helfen und ihnen entgegenzukommen, sie zu ermutigen und sie zu segnen. Für die meisten waren die Prüfungen und die Umstände, die auf sie zukamen, Gottes Werkzeuge. Alles diente ihnen zum Guten, um ihren Glauben zu stärken.


Manche betrachten solche Erfahrungen, die über sie gekommen sind, als Strafe und Fluch, aber traurigerweise haben sie daraus nichts gelernt. Was können wir sagen? Das zeigt die menschliche Natur, die voller Überraschungen ist. Es gibt viele Erfahrungen und Beispiele aus der Bibel, über die wir reden könnten, aber lasst uns kurz Davids Geschichte betrachten, als er mit dem König Achis einen Kompromiss machen wollte: ein trauriger Fall, in welchen David sich verwickelt hatte. Statt in den Bergen Zuflucht zu suchen, suchte er Schutz bei den verschworenen Feinden Jahwes und seines Volkes. Trotzdem wollte Gott ihm in diesen schwierigen Situationen helfen und ihn herausholen, weil er seinen innerlichen Wunsch kannte, dass er ihm treu bleiben wollte. Jedoch hat Gott es zugelassen, dass er aus dieser Erfahrung seine Lehre zieht. „Als er den König Achis verließ, erreichte David mit seinen 600 Männern nach einem Marsch von drei Tagen Ziklag, ihre derzeitige Heimat in Philistäa. Aber welch trostloses Bild bot sich ihren Blicken! Die Amalekiter hatten Davids Abwesenheit dazu genutzt, sich für seine Überfälle auf ihr Gebiet zu rächen. Sie hatten die völlig überraschte, ungeschützte Stadt geplündert und eingeäschert und alle Frauen und Kinder als Gefangene mitgenommen, dazu reiche Beute. [...] Wieder einmal wurde David wegen seines Kleinglaubens gestraft, der ihn dazu geführt hatte, sich unter den Philistern niederzulassen. [...] Obendrein machten ihn seine Begleiter für das Unglück verantwortlich. [...] Rasend vor Schmerz und Wut waren seine Krieger jetzt zu jeder Verzweiflungstat bereit, sie drohten sogar, ihren Anführer zu steinigen. David schien jedes menschlichen Rückhaltes beraubt zu sein. Alles, was ihm auf Erden lieb war, hatte er verloren. Saul hatte ihn aus der Heimat vertrieben; die Philister hatten ihn gezwungen, das Feldlager zu verlassen; die Amalekiter hatten inzwischen die Stadt geplündert; seine Frauen und Kinder waren gefangen, und die vertrauten Kameraden rotteten sich gegen ihn zusammen und drohten ihm sogar mit dem Tod.“ – Patriarchen und Propheten, S. 669.


Wir sehen hier einen schrecklichen Zustand: einen Zustand, in dem der Mensch geneigt und versucht ist, Selbstmordgedanken zu hegen. Menschlich gesehen, gab es hier keine Hoffnung mehr. Was tat David in dieser Situation? „In dieser Stunde äußerster Not hing David nicht lange seinen Gedanken über die schmerzlichen Umstände nach, sondern bat Gott ernstlich um Hilfe. Er ‚stärkte sich in dem Herrn‘. Er hielt Rückblick auf sein vergangenes, bewegtes Leben. Hatte der Herr ihn je verlassen? Und er gewann neue Kraft, als er sich die vielen Beweise der göttlichen Gnade ins Gedächtnis rief.“ – Patriarchen und Propheten, S. 669.


Was hat David in diesen Momenten geholfen? Die Beweise der Vergangenheit. Sein vergangenes Leben lief wie ein Film vor seinen Augen ab und er konnte überzeugt sagen: „Hat der Herr mich je verlassen?“ Niemals. Das heißt „Hoffen wider alle Hoffnung“. Dadurch gewann er neue Kraft und Gott gab ihm alles zurück, was er verloren hatte. Das bedeutet, einen starken Glauben zu haben.


Lasst uns Gott für diese Beispiele danken, besonders für seine gnädige und liebevolle Führung. Möge er uns dadurch Kraft und Glauben schenken, damit wir uns für die Prüfungen, die auf uns zukommen werden, vorbereiten können. Und wenn Gott schwierige und traurige Umstände auf uns zukommen lässt, dann lasst uns nicht vergessen, dass es nur eine Lösung gibt: den Glauben an Gott – Hoffen wider alle Hoffnung.

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